Wolfsburg. In Wolfsburg beobachtet man den Konkurrenten. Offiziell will Daimler Millionen Autos umrüsten, um sie sauberer zu machen. Doch die Luft wird dünner.

Unser Leser, der sich Angels Blue nennt, bemerkt auf unseren Internetseiten:

Alle haben beschissen, nicht nur Volkswagen. Hoffentlich kassiert der Ami hier auch schön ab.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

In Wolfsburg und bei VW registrieren sie den Daimler-Rückruf ganz genau. Die wenigsten haben dabei so viel Schaum vor dem Mund wie unser Leser. VW-Insider sind keinesfalls überrascht. Schadenfreude zeigen sie aber nicht – zu sehr steckt Volkswagen immer noch selbst im Schlamassel.

Daimler will mehr als drei Millionen Diesel-Fahrzeuge nachbessern, um die Schadstoffwerte seiner Wagen zu verbessern. Das sind nahezu alle Mercedes-Diesel mit den Abgasnormen Euro 5 und 6, die in Europa unterwegs sind. Rund 220 Millionen Euro soll die Aktion kosten, demnächst beginnen und bis weit ins Jahr 2018 dauern.

Der Rückruf befeuert den Verdacht, Daimler habe wie VW manipuliert. Der Vorwurf ist nicht neu, aus Wettbewerber-Kreisen hieß es gegenüber unserer Zeitung: „Daimler tritt die Flucht nach vorne an.“

Ein Ex-VW-Manager sagt, ihn wundere der Rückruf nicht. Die Ingenieure in der Motorentwicklung würden bei den Konzernen einen exklusiven Kreis bilden. Man kennt sich. „Man trifft sich auf Kongressen, oft haben die Ingenieure gemeinsam studiert.“ Der Abgas-Skandal bei VW sei auch deshalb von Daimler nie groß zum Thema gemacht worden, weil Daimler offenbar selbst Probleme befürchtet habe. „Man wusste, was bei der Konkurrenz läuft“, sagt der VW-Insider.

Die Stuttgarter geraten immer mehr in Bedrängnis. Laut Medienberichten sollen bei mehr als einer Million Fahrzeugen Motoren mit manipulierten Abgaswerten eingebaut sein. Das gehe aus einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart hervor. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt, in den USA ermitteln das Justizministerium und die Umweltbehörden EPA und Carb ebenfalls, ob Daimler illegale Abschalteinrichtungen bei Diesel-Motoren eingesetzt hat. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) will Daimler-Modelle überprüfen.

VW selbst will sich nicht zu den Vorwürfen gegenüber Daimler äußern – auch nicht zum Rückruf.

Laut dem Insider hätte Daimler, hätten auch andere Konzerne bemerkt, dass VW mit der Manipulation durchkomme. „Die anderen haben ein paar Jahre gewartet. Als sie gesehen haben, dass VW nichts passiert, haben sich die anderen Konzerne gefragt: Warum sollten wir mehrere Hundert Euro pro Fahrzeug investieren, um saubere Diesel-Fahrzeuge zu produzieren? Diese Entwicklung war nur eine Frage der Zeit.“ VW hatte 2005, spätestens 2006 mit der Manipulation begonnen, Daimler soll laut Medienberichten, die sich auf Akten der Staatsanwaltschaft Stuttgart stützen, 2008 begonnen haben.

Der große Unterschied zwischen VW und Daimler ist laut dem Ex-Manager aber das Verhalten auf dem US-Markt. „Das war saudumm von VW“, sagt er. „Man hätte die Signale früher richtig deuten sollen.“ US-Umweltbehörden hatten VW schon 2014 im Visier, der Konzern hatte jedoch abgewiegelt, musste 2015 dann aber doch die Manipulation bei Diesel-Fahrzeugen zugeben.

„Daimler ist nicht das Ende“, sagt der VW-Insider. „Renault, Fiat und Opel werden die nächsten sein. Jeder Konzern, der Diesel in großen Mengen verkauft hat, wird Probleme bekommen“, prophezeit er. Was ihn so sicher macht? Bosch und andere Zulieferer haben VW, Daimler und viele andere Hersteller beliefert. Bosch musste 300 Millionen Euro an Kläger in den USA zahlen, war in den Abgas-Skandal von Volkswagen verstrickt.

Immer wieder waren Modelle von Daimler und anderen Herstellern bei Messungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auffällig, zuletzt bei einem Test bei winterlichen Temperaturen. Der Streitpunkt ist ein sogenanntes Thermofenster, das die Abgasnachbereitung in bestimmten Temperaturbereichen herunterregelt. Der Ex-VW-Manager kritisiert die dazu zu „schwache Gesetzgebung“.

Ein anderer einflussreicher Ex-VW-Manager sieht Daimler „massiv unter Druck“. „Der Konzern ist in einer ähnlichen Situation wie VW im September 2015.“ Damals musste VW auf Drängen der US-Behörden das Diesel-Problem zugeben. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn sprach von „schonungsloser Aufklärung“ und „schlimmen Fehlern einiger weniger“. Daimler-Chef Dieter Zetsche hingegen hält sich nun zurück. Als der VW-Skandal aufflog, sagte er noch: „Wir halten uns grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben und haben keinerlei Manipulationen an unseren Fahrzeugen vorgenommen.“

Daimler-Sprecher Matthias Brock erklärt auf Anfrage, die Zetsche-Sätze hätten auch heute noch Gültigkeit. Die Daimler-Kunden seien aufgrund der Medienberichte aber zunehmend verunsichert. Daher habe sich der Daimler-Vorstand dazu entschlossen, „proaktiv“ die Umrüstung der Fahrzeuge zu starten. Und mit Blick auf die Manipulations-Vorwürfe fügt er hinzu: „An den Spekulationen beteiligen wir uns nicht.“

Zufriedenheit verspürt der Ex-VW-Manager nicht, weil nun auch Daimler verstärkt am Pranger steht, sagt er. „Das macht es nicht besser.“ Man sei früher immer stolz gewesen, bei VW zu arbeiten. „Dieser Stolz ist weg. Der kommt nicht deshalb wieder, weil auch andere Probleme haben.“ Er zollt den Stuttgartern Respekt. „Es ist vernünftig, dass sie die Umrüstung ohne großes Lamento in die Hand nehmen.“

Und aus Wettbewerber-Kreisen heißt es, es sei „geschickt“, wie Daimler auf die Vorwürfe, die in den vergangenen Tagen zugenommen haben, reagiert habe. „Sie sprechen davon, dass sie drei Millionen Fahrzeuge umrüsten, um die Emissionswerte zu verbessern. Inkludiert sind aber schon die Modelle, die vom KBA noch untersucht werden müssen. Sie nehmen die Umrüstung bereits vorweg und hoffen, ungeschoren davonzukommen.“ Der Wettbewerber drückt es noch drastischer aus: „Daimler versucht, die Leichen aus dem Keller zu bekommen. Das ist ein billiges Manöver. Ob Daimler damit durchkommt, bleibt abzuwarten.“

Er ist sich sicher, dass Daimler die technische Lösung für die Umrüstung noch gar nicht parat habe. Der Wettbewerber verweist darauf, dass VW noch immer nicht alle 2,4 Millionen Fahrzeuge in Deutschland umgerüstet habe – und sich hartnäckigen Vorwürfen ausgesetzt sieht, die Autos seien nach der Umrüstung weniger leistungsstark. „All das hat Daimler noch vor sich.“ Die große Frage ist, ob die Politik so mitspielt, wie Daimler sich das vorstellt. „Verkehrsminister Alexander Dobrindt will eine Lösung präsentieren – Daimler schafft mit der Umrüstung aber schon Fakten.“

Diese Kritik mag berechtigt sein. Bisher lässt Dobrindt Daimler aber gewähren. Dabei will die Bundesregierung beim „Diesel-Gipfel“ erst am 2. August mit mehreren betroffenen Bundesländern und der Autobranche konkrete Schritte für einen geringeren Schadstoffausstoß festlegen.