Hongkong. 20 Jahre nach der Rückgabe der englischen Kronkolonie an China wandelt sich die Metropole langsam.

„Little Dragon“ rennt, als wüsste er, worum es geht. Auf der Hongkonger Pferderennbahn Sha Tin steht er für ein Versprechen, das 50 Jahre Gültigkeit haben soll. Schließlich hatte Chinas Parteichef Deng Xiaoping einst prophezeit: „Die Pferde werden weiterrennen.“ In der Nacht des 30. Juni 1997, in der die Briten ihre Kronkolonie nach rund 150-jähriger Herrschaft endgültig verlassen, stehen die Pferderennen stellvertretend für das demokratisch-marktwirtschaftliche System, welches das sozialistische China der neuen Sonderverwaltungszone weiterhin gewähren will.

In Kowloon tauchen Besucher in eine Welt aus Schriftzeichen ein

So ist auch 20 Jahre nach der Übergabe längst nicht alles, was britisch ist, aus Hongkong verschwunden. Die roten Briefkästen mit der Krone wurden natürlich abgeschraubt, die Porträts von Elizabeth II. abgehängt. Mit dem Union Jack sank 1997 auch der Stern des britischen Empire auf den Boden der Hongkonger Tatsachen – die Pacht der „New Territories“ im Norden war nach 99 Jahren abgelaufen.

Doch auf Hongkong Island, dem asiatischen Gegenstück zu New Yorks Manhattan, läuft der britische Einfluss wie der Untertitel in einem chinesischen Film bei jedem Schritt mit. Zwischen den Wolkenkratzern herrscht Linksverkehr. Es gibt die Queen’s Road und den Victoria Harbour, die Tram zuckelt schon seit 1904 über die Insel. Und vor den Schaufenstern von Gucci, Armani und Co. warten die Leute auf den Bus – in feiner englischer Art brav aufgereiht.

Gleich um die Ecke, am „Possession Point“, haben die Briten während des ersten Opiumkriegs 1841 ihre Fahne gehisst und das Fischerdorf Hongkong samt seinen 7000 Einwohnern zwei Jahre später zur Kolonie erklärt. Chinesische Einwanderer machten aus dem Stadtteil Sheung Wan ihr eigenes Handelszentrum: Seit über 100 Jahren werden hier, in „Old Town Central“, schwarze Seegurken auf den Straßen zum Trocknen ausgelegt. Walsekret, Ginseng und Vogelnester locken Shoppingtouristen aus China an, die bei Luxusartikeln ebenso wie in Gesundheitsfragen lieber auf Hongkonger Qualität als auf heimische Fälschungen setzen.

Der Kapitalismus hat überlebt, Hongkong ist eine Business-Stadt: tough, teuer, in ständigem Wandel. Die Mieten in den Apartmentblocks, die mit Platz für 1000 Bewohner ein deutsches Städtchen beherbergen könnten, sind horrend.

Das Erbe der Briten, es ist in Kowloon, auf dem Festland, weniger offensichtlich. Wer den Pier hinter sich lässt, wo die „Star Ferry“ in Richtung Skyline abfährt, und den alten Uhrturm aus rotem Backstein passiert, der früher die Immigranten am Bahnhof begrüßte, findet sich in einer Welt aus Schriftzeichen wieder. In den Hinterzimmern der Läden werden die Messer per Hand geschliffen, die Auslagen zeigen Hühnerfüße, auf den Speisekarten steht Schlangensuppe. Obwohl die kantonesische Küche als beste Chinas gilt, ist man in Hongkong „stolz auf den Mix aus Ost und West“, sagt Yammy Tam, die im Stadtteil Sham Shui Po zur „Foodie Tour“ lädt.

Letztlich ist Hongkong eben ein Schmelztiegel: Indonesier, Amerikaner, Briten, Deutsche und Chinesen leben Seite an Seite. Der britische Pub-Betreiber identifiziert sich ebenso mit der Stadt wie die in Hongkong geborene alte Dame, die ihre Waagen verkauft. Und an den Wochenenden treffen sie sich alle Nationen beim Pferderennen.